Interner Wettbewerb: Wie man Fachidioten und Egoisten züchtet

Seit den 90er Jahren wurde die Aufbauorganisation vieler größerer Unternehmen nach Geschäftsfeldern (z.B. Profit Center) gegliedert. Die auch als „Unternehmen im Unternehmen“ bezeichneten Einheiten sind in der Regel um die Erfordernisse der Zielkunden aufgebaut. Sie verfügen über ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Entscheidungskompetenz, damit ihnen die Verantwortung für die Ertrags- und Kostenentwicklung zugeschrieben werden kann. Jedoch führt eben diese Struktur nicht nur zu einer verstärkten Kundenorientierung, sondern häufig innerhalb der Gesamtunternehmung zu Wettbewerbsbedingungen, welche die externen Vorteile schnell neutralisieren. Dieser interne Wettbewerb wird durch ausgelobte Prämien und Boni noch verstärkt und führt bei den Verlierern zu Frustration, Demotivation und Existenzängsten. Die Folgen zeigen sich entweder in einer zunehmenden Abgrenzungen zu anderen Bereichen oder in der Anpassung an die vorhandenen Spielregeln – auf Kosten schöpferischer Kreativität und Freude am Tun. Die Gewinner dieser Spiele wiederum halten ihr für die Gesamtorganisation relevantes Erfolgs-Wissen zurück, da ihnen dieses den Sieg im internen Kräftemessen sichert. Die Organisation verliert also so oder so.

Neben diesen organisationalen Nachteilen schwächt der interne Wettbewerb jedoch auch den Mitarbeiter selbst. Wie schreibt der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther „Fachidioten und Leistungssportler kann man durch Wettbewerb erzeugen, aber nicht umfassend gebildete, vielseitig kompetente und umsichtige, vorausschauend denkende und verantwortlich handelnde, in sich ruhende und starke, beziehungsfähige Persönlichkeiten.“

Eine Herausforderung für die Organisation der Zukunft liegt somit darin, sich von starren Strukturen und tradiertem Führungsverständnis lösen zu können und a) ihre systemischen Merkmale so zu verändern, dass sie in der Lage ist, sich flexibel den wechselnden Umweltbedingungen anzupassen und b) Führung so zu gestalten, dass Mitarbeiter motiviert sind, „ihr eigenes Wissen mit anderen zu teilen und fremdes Wissen aufzugreifen und zu nutzen und dabei auch ihr Nichtwissen aufzudecken.“ (Wilke, 2007). Die Einführung von Projektstrukturen sind Schritte zu flexibleren Organisationen, insbesondere wenn es gelingt, das in einzelnen Projekten generierte Wissen auf andere Projekte und insbesondere auf die Linienbereiche zu übertragen. Auch das Denken in Prozessen trägt letztlich dazu bei, organisationale Grenzen zu überwinden und Zusammenarbeit zu fördern.

Die sicherlich größte Herausforderung liegt jedoch in der kritischen Reflexion des bestehenden Führungsverhaltens und der Veränderung des in der jeweiligen Organisation vorherrschenden Menschenbildes. Wenn es Führungskräften gelingt, den in jedem Menschen angelegten Willen nach Kommunikation, Kooperation und Weiterentwicklung zu fördern, erhält die Organisation vielseitige und loyale Mit-Arbeiter statt überzüchtete Windhunde, die in Höchstgeschwindigkeit einem mechanischen Köder hinterherrennen.

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Quellennachweis:
Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten, Frankfurt, 2011
Helmut Wilke: Einführung in das systemische Wissensmanagement, Heidelberg, 2007

2 Kommentare

  1. Sehr wichtiger Beitrag.
    Nur solange der CEO selbst noch in der Glaubenssatzfalle sitzt, „der einzelne muss Siegeswille haben“, weil selbst nämlich so ein überzüchteter „Windhund“ mit Siegeswille ist, kommt kein Teamgeist auf. Der CEO muss überzeugt werden, dass ein funktionierendes Team mehr leisten kann als jeder noch so starke Einzelkämpfer.
    Ich empfehle dazu das Buch „Tribal Leadership“, leider nur in Englisch.
    LG ein netter Kollege
    Peter Rach

    1. Ich stimme Ihnen zu Herr Rach, und diese Überzeugungsarbeit kommt einem Paradigmenwandel gleich, da wir uns (insbesondere die Jungs) von klein an immer mit anderen vergleichen und messen wollen. Die Begeisterung über Siege und Erfolge ist dabei wichtig und eine natürliche Motivation, doch sollten eben die richtigen „Feinde“ anvisiert und die Siege im Team erzielt und gefeiert werden. Change fängt immer beim Kopf an, egal ob bei Menschen oder in Organisationen. Doch nur weil der Kopf eines Tausendfüsslers vielleicht seine (Denk-)Richtung geändert hat, heißt das noch lange nicht, dass auch alle Beine dann gleich in die neue Richtung marschieren. Um diesen organisatorischen Rumpf neu auszurichten reicht meines Erachtens Kulturveränderung durch Coaching und Teamentwicklung nicht aus. Hier muss auch an der Strategie und Struktur des Unternehmens gearbeitet werden.
      Vielen Dank für den Buchtipp!

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