Wenn Organisationen sich verändern wollen oder müssen, dann stehen häufig Ziele wie Effizienz, Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit im Fokus. Welches Potenzial jedoch aus den Akteuren selbst erwächst, wenn der Unternehmenswandel über alle Ebenen hinweg begleitet wird und gezielt Entwicklungsräume geschaffen werden, das wird oftmals noch vernachlässigt. Eine Rolle, die diese Räume schaffen kann, ist der Agile Coach. Wir sprachen mit Christian Konz, der diese Rolle u.a. bei einem international agierenden Familienunternehmen in der Industrie ausübt.
Für selbstorganisiertes, eigenverantwortliches und sinnstiftendes Denken und Handeln stark machen
ibo-Blog: Herr Konz, wie sind Sie eigentlich Agile Coach geworden?
Christian Konz: Eine gute Frage, denn dazu habe ich gleich mehrere Antworten parat. Bei meinem letzten Arbeitgeber wurde mir unternehmensintern nach einer kurzen Bewährungsphase diese Rolle einfach zugeschrieben. Ob es an meinen Fähigkeiten liegt oder ob es sich einfach leichter aussprechen lässt als meine offizielle Stellenbezeichnung „Inhouse Agile Consultant“, das müssen andere beurteilen. Zwischenzeitlich war ich auch als Scrum Master tätig. Und Agile Transformation Coach war ich auch. Die Rolle des Agile Coach lässt sich in der Praxis schwer ab- oder eingrenzen, sie ist weder eine offizielle Berufsbezeichnung noch steht dahinter ein institutionalisiertes Berufsbild – letztlich kann sich jeder so nennen oder anders.
ibo-Blog: … und wie lautet ihre nächste Antwort darauf?
Christian Konz: Die Antwort, die mir wesentlich besser gefällt (lacht), ist die, dass hinter meiner Rolle als Agile Coach eine persönliche Entwicklungsgeschichte steht, die vor rund 10 Jahren mit der Leidenschaft für Unternehmensführung, Aufbauorganisation und innovative Geschäftsmodelle begonnen hat. Dass ich mich heute für selbstorganisiertes, eigenverantwortliches und sinnstiftendes Denken und Handeln in Organisationen stark mache, hat nur bedingt mit dem Getöse agiler Ansätze, Methoden und Werkzeuge zu tun, die aktuell durch die Unternehmenslandschaft fegen. Letztlich liegt es an meinem ganz egoistischen Interesse daran, Unternehmen und Organisationen weiterzuentwickeln und besser zu machen, indem ich dazu beitrage, dass die darin wirkenden Menschen ihr Potenzial wert- und sinnstiftend entfalten.
Blitzableiter und Feuerlöscher in einem
ibo-Blog: Was ist das Besondere an dieser Rolle?
Christian Konz: Ich persönlich kenne keine Rolle, die abwechslungsreicher und spannender ist, als die des Agile Coach. Einen geregelten Tagesablauf gibt es nicht – auch wenn ich mich hin und wieder danach sehne (schmunzelt). Für mich ist es die perfekte Rolle, um als Vermittler und Koordinator
den Unternehmenswandel zwischen strategischer Management-Ebene und operativen Teams über Bereichs- und Abteilungsgrenzen hinweg zu initiieren, zu fördern und mitzuerleben.
ibo-Blog: In dieser Rolle machen Sie sich aber nicht nur Freunde, oder?
Christian Konz: Dem kann ich nicht widersprechen. Wenn ich mich jedoch als Agile Coach von einer bestehenden Hierarchie beindrucken ließe, dann verdiente ich diese Rolle nicht. Denn künstlich eingezogene Leitungsebenen, Kopfmonopole und Abteilungsgrenzen gilt es ja gerade zu verändern. Da holt man sich schon mal eine blutige Nase. Manchmal bist Du Blitzableiter und Feuerlöscher in einem! Das gehört aber dazu. Informelle Machtverhältnisse interessieren mich sowieso viel mehr als formal hierarchische. Denn diese Netzwerke spiegeln häufig die wahren Kompetenzen im Unternehmen wider und das, was möglich ist.
Führungspersönlichkeiten in Netzwerken entwickeln sich bottom up
ibo-Blog: Was meinen Sie damit? Können Sie das erklären?
Christian Konz: Im Unterschied zur klassischen Hierarchie bilden sich Führungspersönlichkeiten in solchen Netzwerken bottom up heraus, sie werden demokratisch legitimiert. Es geht nicht um Titel oder Status, sondern um Anerkennung. Dies zeigt sich z.B. darin, wie häufig jemand in Entscheidungen einbezogen wird bzw. um Rat gefragt wird und in dem Maße, wie dessen Empfehlungen und Interventionen anerkannt, akzeptiert und umgesetzt werden. Agile Coachs sollten diese Entwicklung fördern und Überzeugungsarbeit leisten, indem sie nicht nur schlaue Fragen stellen, sondern kollegial beraten und befähigen.
ibo-Blog: Und wie machen Sie das konkret?
Christian Konz: Ich öffne überschaubare Entwicklungsräume zur Potenzialentfaltung. Bei komplexen Sachverhalten bzw. Problemen liegt die Lösung ja gerade nicht auf der Hand. Oft besteht in solchen Situationen die Gefahr, dass Mitarbeiter passiv werden, sich zurückziehen und nicht selten die Opferrolle einnehmen. Die Frage nach dem großen Wurf, der umfassenden Lösung, ist oftmals hinderlich und führt zu nichts! Oft stelle ich in solchen Situationen aktivierende Fragen wie: „Was könnten Sie tun, damit Ihr Problem noch schlimmer wird? Was müsste geschehen, damit gerade das nicht passiert?“ Wenn z.B. ein wichtiges Projekt ins Stocken gerät, dann geht das noch schlimmer, indem immer mehr Projekte gestartet werden. Dann haben wir ein Priorisierungsproblem, der Fokus geht verloren. Häufig fällt es Mitarbeitern dann leichter zu benennen, was sie nicht wollen, nämlich keine Priorisierungskonflikte und stattdessen mehr Fokus.
Erste Schritte aus der Passivität gelingen meist durch kleinere, über einen überschaubaren Zeitraum vereinbarte Interventionen, sog. Micro Changes. Eine solche Intervention könnte beispielsweise sein, dass in der nächsten Woche alle Aufgaben und Anfragen konsequent abgelehnt werden, die mit dem Hauptprojekt nichts zu tun haben. Die Rufumleitung wird aktiviert, der Kalender geblockt oder der Raum gewechselt. Gelingt dies, wird die Selbstwirksamkeit der Betroffenen gestärkt. Es findet eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Problem statt, in der die Betroffenen häufig wachsende Kompetenz in der Beantwortung problemrelevanter Fragen gewinnen.
Agile Coachs sollten jeden Tag daran arbeiten, sich überflüssig zu machen
ibo-Blog: Braucht es eine bestimmte Haltung, um in dieser Rolle gut zu sein?
Christian Konz: Das weiß ich nicht. Was ich jedoch aus eigener Erfahrung sagen kann ist, dass Agile Coachs oft hypothesengeleitet handeln und erfahrungsbasiert lernen. Und sie sollten keine Angst davor haben, jenseits ihrer ‚Komfortzone’ zu agieren und den Finger in die Wunde zu legen, auch wenn es manchmal wehtut. Oftmals hilft es auch, wenn man sich nicht allzu ernst nimmt und die Gewissheit, dass man nicht alles weiß.
ibo-Blog: Aber Agile Transformation ist doch eine ernste Sache, oder?
Christian Konz: In jedem Fall. Aber ein Agile Coach sollte jeden Tag daran arbeiten, sich überflüssig zu machen. Denn wenn meine Arbeit bei den Menschen ankommt und angenommen wird, dann wird die Rolle des Agile Coachs hoffentlich bald nicht mehr benötigt.
ibo-Blog: Und was machen Sie dann?
Christian Konz: Dann steht bereits die nächste Transformation vor der Tür! (lacht)
ibo-Blog: Was empfehlen Sie jemandem, der die Rolle als Agile Coach anstrebt?
Christian Konz: Meines Erachtens sollten angehende Agile Coachs über ein ausreichendes Maß an unternehmerischem Grundwissen verfügen und in der Lage sein, aufbau- und prozessorganisatorische Strukturen zu verstehen. Für den Agilen Teil der Rolle gibt es längst sehr gute und zugeschnittene
Weiterbildungsmöglichkeiten, die schnell das notwendige Rüstzeug zu den bekannten Ansätzen, Methoden und Werkzeugen vermitteln. Und ähnliches gilt natürlich auch für angehende Coachs – auch wenn der Alltag eines Agilen Coachs nicht immer aus Coaching besteht. Und ein wenig Empathie sollte jeder mitbringen. Die kann man schließlich auch zu einem gewissen Grad erlernen. Eine Zeit lang im Schatten eines erfahrenen Coachs mitzulaufen kann nicht schaden. Ich habe sehr davon profitiert, regelmäßig Feedback von meinen Kollegen zu erhalten und mich mit anderen Agile Coachs auszutauschen.
ibo-Blog: Vielen Dank für das Gespräch!
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Sehr spannendes Interview. Die Position des Agilen Coaches ist sehr interessant und auch in der aktuellen Zeit wichtig. Denn viele Unternehmen müssen sich aktuell einem Wandel unterziehen, der durch die Corona Krise hervorgerufen wurde.
Danke für das tolle Interview!