Prozessorientierung noch nicht auf allen Ebenen umgesetzt
Die Fokussierung auf Funktionen dominiert. Prozesse kommen noch zu kurz. So das Ergebnis einer Studie der gfo (Gesellschaft für Organisation e.V.) zum aktuellen Stand der Prozessorganisation in deutschen Unternehmen.
Logistik und Produktion auf gutem Weg – Service und Vertrieb schwach
Besonders die Bereiche Logistik und Produktion sind überwiegend und mit je rund 54% am stärksten an Prozessen ausgerichtet, was auf klar definierte (Realisierungs-)Aufgaben zurückzuführen ist. Denn in den Produktionen und Leistungserstellungsbereichen liegen häufig detaillierte Arbeitsanweisungen oder Prozessbeschreibungen vor, die sämtliche Aktivitäten, Aufgabenträger, Informationen, Sachmittel und einzusetzende Hilfsmittel eindeutig regeln.
Ganz anders sieht es hingegen in den kundennahen Bereichen wie Service und Vertrieb aus. Hier sind es gerade mal 42% der Unternehmen, die sich vollständig und überwiegend an Prozessen ausrichten.
Geringe Prozessorientierung im Führungsbereich
Im Bereich der Führungs- und Administrationsebene hingegen hat sich das Denken in Kunden-Lieferanten-Beziehungen offensichtlich noch nicht durchgesetzt. Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Studie auch die Formen der Bereichsbildung auf unterschiedlichen Führungsebenen abfragt. Beim Vergleich zwischen Funktionen und Prozessen ist festzustellen, dass kleine und mittlere Unternehmen in den Führungsebenen eher an Prozessen ausgerichtet sind als Großunternehmen. Denn mit steigender Mitarbeiteranzahl lässt der Umsetzungsgrad der Prozessorganisation nach. Im Umkehrschluss bedeutet dies also: Je tiefer die Führungsebene in der Unternehmensorganisation liegt, desto stärker findet eine Ausrichtung der Organisation an Prozessen statt.
Handlungsbedarf auf Gesamtunternehmensebene
Spätestens bei der Betrachtung über alle Unternehmensbereiche hinweg wird deutlich, dass ein konkreter Handlungsbedarf besteht, da über 28% der Umfrageteilnehmer noch keine Prozessorganisation eingeführt haben. Zwar ist sie in bestimmten Bereichen vieler Unternehmen bereits umgesetzt, eine umfassende und durchgängige Einführung ist jedoch (noch) nicht erfolgt, was zu bekannten Schwierigkeiten führt, wie Schnittstellenprobleme, fehlende End-to-end Sicht oder die Verfolgung inkonsistenter (Bereichs-)Ziele.
Erfolgsfaktor Topführungsebene
Einen besonders hohen Einfluss auf den Erfolg der Prozessorganisation hat die Unternehmensleitung. Zwei Drittel der Teilnehmer stimmten diesem Erfolgsfaktor voll zu. Da die oberste Führungsebene aber selbst überwiegend nicht an Prozessen ausgerichtet ist, gibt es im Sinne der End-to-end- Orientierung über alle Hierarchieebenen sicher noch Optimierungspotenzial.
Die Botschaft ist klar: Führungsebenen sind prozessorientiert auszurichten
Die Studie macht transparent, wo die Ansatzpunkte zur Erhöhung der Prozessorientierung liegen. Im Führungs- und Leitungsbereich wird weniger in Prozessen gedacht als auf der Ebene der Leistungserbringung. Ohne Zweifel lassen sich Abläufe und Vorgehen auch in der Führungsebene im Rahmen von Prozessworkshops definieren, wobei auch das strategische Zielbild des Unternehmens eine Rolle spielt, an dem die erhobenen Prozesse auszurichten sind. Nähert man sich aber im Nachgang der Modellierungs- und Designphase der Frage, wie die Prozessverantwortung für einen bestimmten Führungsprozess geregelt werden soll, tun sich gerade die funktional geprägten Unternehmensbereiche schwer damit. Nicht zuletzt, weil durch die mit dem Prozess verbundenen Ziele (zunächst) im offenen Widerspruch zu den Bereichszielen stehen.
Je nach Kultur, Komplexität des Geschäfts und Auslastungsgrad/Kosten kommen unterschiedliche Lösungsansätze in Betracht: Prozessverantwortung im Stab (Stelle), Prozessverantwortung in der Linie (meist als Rolle) oder Prozessverantwortung im Team. Wie so häufig ist die Frage nach dem optimalen Ansatz nicht pauschal zu beantworten, sondern ist abhängig von der jeweiligen Unternehmenssituation. Weiterführende Informationen zur Regelung von Prozessverantwortung finden Sie hier: Prozessverantwortung regeln
Die Vogelperspektive hilft: Prozessmanagementprozesse legen Schwachstellen der Prozessorganisation offen
Geht man einen Schritt weiter und überlegt, was es braucht, um Prozessorientierung in und zwischen den Unternehmensbereichen voranzutreiben und den entstehenden Nutzen vollumfänglich zu erschließen, stößt man auf die Bestandteile erfolgreicher Prozessmanagementorganisationen: Prozessmanagementprozesse, Rollenkonzepte, Standards, Konventionen oder Regelungen.
Neben der laufenden Bewertung der Leistungsfähigkeit von Prozessen in den produktnahen Bereichen zeigen insbesondere die periodischen Prozessmanagementprozesse, wie Prozessaudits, Prozessassessments oder Managementreview, die Lücken hinsichtlich fehlender Prozessorientierung auf und ermöglichen damit eine sukzessive Erhöhung des Prozessorientierungsgrades im gesamten Unternehmen.
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Branchen und Teilnehmer
Die Untersuchung erstreckte sich neben Großunternehmen auch auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und stellt damit einen Querschnitt der deutschen Unternehmen dar.
Die teilnehmenden Unternehmen kommen aus der Dienstleistungsbranche, der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Chemie-, Pharma- und Gesundheitsbranche sowie der Handelsbranche. Der überwiegende Teil der befragten Personen kommt aus den Bereichen Organisation, Vorstand/Geschäftsführung, Produktion und Logistik, Qualitätsmanagement.
Weitere Studien, gleiches Ergebnis: Prozessorganisation ist wichtig, aber noch nicht vollständig etabliert
Die vorgängig dargestellten Ergebnisse werden durch drei weitere Studien im deutschsprachigen Raum gestützt. (Müller 2011/Fokus: Deutsche und österreichische Unternehmen aller Branchen. Gadatsch/Vaziri 2012/Fokus: Methodeneinsatz von BPMN in deutschen Unternehmen. Liebert 2012/Fokus: Großunternehmen, 80% der Teilnehmer stammen aus Unternehmen mit über 5.000 Mitarbeitern)
Darin wird deutlich, dass die hohe Relevanz der Prozessorganisation heute allgemein anerkannt ist und ein Großteil der Unternehmen zwar mit der Einführung der Prozessorganisation begonnen, aber bei weitem noch nicht vollständig etabliert hat. Nachholbedarf besteht u.a. bei der konsequenten Nutzung von Kennzahlen zur Prozessverbesserung, den Kompetenzen und Erfahrungen der Prozessbeteiligten sowie beim Ausrichten bereichsübergreifender Prozesse, Standards und Regelungen.
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