„Selbstorganisation braucht Führung – Agile Führung!“

Es gibt diese Stories, die einen vor Ehrfurcht erstarren lassen. Eine dieser herausragenden Geschichten schreibt zweifellos Gore, allen voran mit seinem Slogan „no ranks no titles“. Oder die WD-40 Company mit ihrem „Maniac Pledge“. Beiden Unternehmen unterstelle ich, dass sie seit langem ein agiles Mindset pflegen – eine Kultur der Selbstverantwortung. Unternehmen die eine solche Haltung nicht nur auf ihrer Homepage in der Rubrik „Über uns“ imagewirksam präsentieren, sondern im alltäglichen Denken und Handeln manifestieren, sind sehr selten. Warum? Kultur lässt sich nicht von heute auf morgen ändern – Kulturwandel braucht Zeit. W. L. Gore & Associates, Inc. wurde 1958 gegründet, WD-40 Company im Jahr 1953. Ich würde liebend gerne mal hinter ihre Kulissen blicken. Auf meiner aktuellen Top 5-Liste agiler Unternehmen stehen sie auf jeden Fall ganz oben.

„So wollen wir auch sein, aber wie haben die das bloß geschafft?“ (O-Ton eines Kunden)

Solche Erfolgsgeschichten stehen häufig im Rampenlicht und setzen diejenigen unter gehörigen Druck, die diese Story noch nicht erzählen können. Oft steht eine Erschütterung oder gar eine Krise am Anfang einer unternehmerischen Neuausrichtung. Und gleichzeitig sollte das doch der Beginn einer Erfolgsgeschichte sein. Denn was entscheidend ist, das ist die Akzeptanz des oft schmerzvollen krisenhaften Übergangs vom alten, ausgedienten System in das neue (agile) System. Doch wird dieses Kapitel oft verheimlicht und nicht erzählt. Denn hier wird deutlich, ob man es (nur) mit Managern alter Schule zu tun hat oder auch mit Unternehmern. „Der Manager der alten Schule stellt sicher, dass das bestehende System Profit erzeugt. Der Unternehmer geht das Risiko bewusst ein und investiert Energie in Initiativen und Prozesse, deren Erfolg er noch nicht kennt.“ (frei nach Prof. P. Kruse auf youtube).

Erfolgreich sind die, die die Rolle des Managers und des Unternehmers unterscheiden und in der richtigen Situation abrufen können.“

„Agilität – auf jeden Fall! Aber geht’s nicht auch schneller!?“
Einfach vorspulen, eine Abkürzung nehmen oder von anderen abkupfern – das wär’s! „Wir sind doch schon agil“, heißt es dann oft nach gefühlten 4-5 Sprints. Ein Blick quer über alle Studien belegt diese Mär. Ein Großteil der befragten Unternehmen wendet agile Methoden an! Gleichzeitig sind die meisten aber nach wie vor tayloristisch organisiert. Fragmentierte Agilität nenne ich das. Meist finden sich agile Ansätze und Methoden wie Scrumban in IT-nahen Unternehmensbereichen, aber auch nur da. Kopplungs- und anschlussfähiger ist die kontextuelle Agilität im Sinne der organisationalen Ambidextrie, also die Entwicklung einer echten agilen Haltung. Daran trauen sich die meisten aber noch nicht ran. Von außen betrachtet heißt es dann häufig abschätzig: „Ihr verwechselt doing agile mit being agile.“

„Nur wenige Unternehmen können heute von sich behaupten, den längsten Teil der Strecke schon gegangen zu sein. Gore und WD-40 gehören dazu.“

Agilität wird aktuell als Türöffner genutzt, um Hierarchien top down abzubauen und Organisationsstrukturen sinnstiftender und wertschöpfender zu gestalten. Hierbei geht es aber gerade nicht um das Wie? – Scrum funktioniert, keine Frage – sondern um das Wer? Es braucht Entscheider, die den Rahmen für die Gestaltung und Entwicklung eines neuen Betriebssystems aufspannen. Da bin ich ganz bei Laloux der zurecht darauf hinweist: „Wer auf einmal hierarchische Strukturen und Systeme abbaut, aber keine neuen schafft, die künftig vorgeben, wie sich selbstgesteuerte Teams bilden, wie Rollen definiert und zugewiesen werden, wie man zu einem Job kommt oder ihn wieder verliert und wie Entscheidungen getroffen werden, landet geradewegs im Chaos.“ (Quelle: Handelsblatt, 06/2019).

Agilität ist bei weitem noch nicht fertig, etabliert oder vollends verstanden. Agilität befindet sich nach wie vor in einer Netzwerkphase. Das heißt, die meisten Unternehmen suchen nach Orientierung und machen unterschiedliche Erfahrungen auf ihrer ganz eigenen Reise. Sie suchen nach Gleichgesinnten, machen learning journeys zu anderen oft branchennahen Unternehmen, die ihnen vermeintlich einen Schritt voraus sind und zeigen, wie Agilität funktioniert.

Viel entscheidender ist jedoch der Wille und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Situation offen und ehrlich auseinanderzusetzen. Ich führe an solchen krisenhaften Wendepunkten gerne mehrdimensionale Anamnesen (Organisationsdiagnosen) durch – mit Mitarbeitern und Führungskräften. Denn die erfahrungsbasierte Beschreibung und Visualisierung der Historie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, bilden die Voraussetzung für die Diagnose bzw. die Formulierung von Hypothesen. Am Anfang steht also die gemeinsame Suche nach dem Ausgangspunkt – dann lässt sich das Ziel auch leichter formulieren.   

„Was wollen wir wirklich!“ Die Wahrheit kommt eh ans Licht. Implizites explizit machen!
Es ist nichts Schlimmes oder Verwerfliches daran, „schneller werden zu wollen“ bzw. „die Effizienz zu steigern und die Performance zu erhöhen“, weil z.B. ein Unternehmen seine Innovation vor der Konkurrenz auf der nächsten Leitmesse vorstellen will. Das darf nur nicht mit dem vorgeschobenen Apell des Vorgesetzten einhergehen, dass das nur funktioniert, wenn alle ab sofort eigenverantwortlich, selbstorganisiert und cross-funktional dem frisch formulierten Purpose folgen. Betroffene haben sehr feine Antennen und merken sehr schnell, ob solche Erwartungen ernst gemeint sind, oder ob es sich um den (erneuten) Versuch handelt, unter dem Vorwand der Agilität an die persönliche Einstellung der Mitarbeiter zu appellieren, nach dem Motto: Es liegt in Eurer Hand.

„Eigenverantwortung kann weder delegiert noch angeordnet werden. Über den Grad der Eigenverantwortung entscheidet jeder Einzelne selbst.“

Führungskräfte können Mitarbeitern allerdings den Weg bereiten und sie ermutigen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Bei Gore bspw. werden Führungspersönlichkeiten im Unterschied zur klassischen Hierarchie demokratisch legitimiert. Es geht nicht um Titel oder Status, sondern um persönliche Anerkennung, Wertschätzung und Kompetenz – ‚no ranks no titles‘. Dies zeigt sich z.B. darin, wie häufig jemand in Entscheidungen einbezogen wird bzw. um Rat gefragt wird und in dem Maße, wie dessen Empfehlungen und Interventionen anerkannt, akzeptiert und umgesetzt werden. Welches Potenzial jedoch aus den Akteuren selbst erwächst, wenn der Unternehmenswandel über alle Ebenen hinweg begleitet wird, das wird oftmals noch vernachlässigt. Agile Coachs können diese Entwicklung fördern und Überzeugungsarbeit leisten, indem sie nicht nur schlaue Fragen stellen, sondern kollegial beraten und befähigen – Mitarbeiter und Führungskräfte (mehr hierzu in meinem Interview auf diesem Blog). Letztere tun gut daran, gezielt Entwicklungsräume zur individuellen Potenzialentfaltung zu schaffen.

Selbstorganisation braucht FührungAgile Führung!“

Agil ist dann nicht nur die Methode oder die Struktur – auch die Haltung wird agil. Und die gilt es zu entwickeln, damit Interaktionen auf den Ebenen Individuum, Team und Organisation aus Führungssicht gestaltet werden können. Schließlich orientiert sich diese Grundhaltung an der Anforderung des agilen Manifests „Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Tools“.

Es liegt also (nicht nur) in Eurer Hand. 😉

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