Willkommen Instabilität!

Schon lange war unsere private und berufliche Welt nicht mehr so instabil wie heute. Wie schaffen wir es, unsere private Ausnahmesituation mit den Anforderungen unserer Arbeitswelt im Home-Office in Einklang zu bringen? Autor Christian Konz appelliert an die Unternehmensführungen, Rahmenbedingungen für flexibles und selbstorganisiertes Handeln zu schaffen und an alle Einzelpersonen, sich mit der eigenen Situation offen und ehrlich auseinanderzusetzen und Veränderungen nicht nur zu akzeptieren, sondern zu gestalten und kultivieren.

Viele Entscheider/innen und Führungskräfte kämpfen momentan damit, loszulassen, die Zügel lockerer zu halten! Für die meisten ist das eine echte Prüfung. Tatsächlich bleibt ihnen aktuell gar nichts anderes übrig – ob nun Home-Office offiziell angeordnet wird oder nicht. An Kontrolle, wie sie vielleicht in früheren Zeiten durch persönliche Präsenz und räumliche Anwesenheit möglich war, ist aktuell nicht zu denken – und sie wird bei Vielen auch so nicht wieder zurückkommen. Kürzlich hörte ich gespannt einer Radiosendung zu, bei der es um „Plötzlich Home-Office“ ging. Dort kam ein Angestellter zu Wort, der grundsätzlich für Home-Office ist, jedoch gleichzeitig mehr Kontrolle fordert, damit auch zu Hause effizient gearbeitet wird. Denn das wäre nicht nur sein Anspruch an sich selbst, sondern das erwarte er auch von seinen Kolleg/innen. Da könne er seinen Chef schon verstehen.

Meine erste Reaktion war: „Der hat’s nicht verstanden.“ Die Zeiten haben sich geändert und zurückdrehen lässt sie sich auch nicht. Fremdkontrolle im traditionellen Sinne, dass mir der/die Vorgesetzte auf die Finger schaut, funktioniert unter den aktuellen Bedingungen sowieso nicht (wenn es denn jemals funktionierte?!). Vielmehr geht es doch darum (endlich) zu lernen, sich eigenverantwortlich selbst zu organisieren. Wer außer ich selbst kann denn für mein Handeln Verantwortung übernehmen?

Meine zweite Reaktion brachte mich dann aber ins Grübeln, denn solche Aussagen von Mitarbeiter/innen und Führungskräften höre ich öfters. Da rennen die Kinder durchs Bild, fragen nach dem Login zum Online-Klassenraum, oder versuchen die unleserliche Textaufgabe auf der Fotokopie zu entziffern. Und all das während eines wichtigen Online-Meetings. Und das stürzt gerade ab, weil der Akku des Notebooks leer ist. Kann ja mal vorkommen! Aber 6 Wochen hintereinander? Arrrrrghhhh 🙁 . NO WAY! Dass das keine Einzelfälle sind, das weiß und erlebt mittlerweile fast jeder. Und dass das Nerven kostet und hier und da zu Missstimmung und Misstrauen führt, das ist irgendwie auch verständlich.

Effiziente Zusammenarbeit im Home-Office braucht Selbstorganisation und einen Orientierungsrahmen

Sind die Appelle für Selbstorganisation, an das eigenverantwortliche Denken und Handeln von Mitarbeiter/innen nur Fassade? Geht es im Grunde nicht darum, auch unter den neuen Bedingungen möglichst wenig zu verändern, um die bewährten Routinen und die vermeintlich effizienten Arbeitsweisen aufrechtzuerhalten? Lässt sich überhaupt beides unter einen Hut bringen, effiziente Zusammenarbeit und Selbstorganisation (auf Distanz)? Definitiv ein komplexes Thema! Klar ist, es braucht auch in einer instabilen, von Unsicherheit und Komplexität geprägten Welt (manche nennen sie VUKA ;-)) einen stabilen, d.h. einen klaren, transparenten Rahmen, der gleichzeitig Orientierung bietet sowie Flexibilität (manche nennen es Agilität ;-)) und Entfaltung im Sinne persönlicher, individueller Entwicklung ermöglicht.

Beispiel: Versicherungskammer Bayern
So geht bspw. die Versicherungskammer Bayern mit gutem Beispiel voran. Ein Zurück in die alte Welt nach der Corona-Pandemie ist keine Option mehr. Der Konzern hat deshalb bereits im vergangenen Sommer die Unternehmensleitsätze erweitert, um virtuelles Arbeiten und andere Formen der Zusammenarbeit auch nach der Pandemie ermöglichen zu können.
So gelang es der Versicherungskammer Bayern, proaktiv mit verschiedenen Maßnahmen für den digitalen Austausch zu sorgen, z. B. durch virtuelle Events, Teamklausuren oder sogenannte E-Sessions. Lesen Sie mehr im Blogbeitrag Digital und kompetent durch die Krise.

Das Beispiel zeigt, dass es neben den Apellen für eigenverantwortliches Denken und Handeln einen Rahmen, eine Orientierung braucht, damit die neuen Formen der Zusammenarbeit und die damit einhergehenden Veränderungen nicht nur akzeptiert, sondern gestaltet und kultiviert werden können.

Beispiel: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
Dass in diesem Zusammenhang Klarheit und Transparenz gute Begleiter sind, bestätigt z. B. das Bundesinstitut für Berufsbildung. So berichtet Herr von Wrangel aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement, dass speziell für die Corona-Pandemie eine TaskForce gegründet wurde. Täglich werden die neuesten Infos über die aktuelle Situation gesammelt und über das Intranet zur Verfügung gestellt. Alle Mitarbeitenden sind mit Laptops, bei Bedarf mit zusätzlichem Monitor, Tastatur und Maus ausgestattet, um im Home-Office arbeiten zu können. Damit ist der Zugang zu allen digitalisierten Vorgängen, aber auch den benötigten Tools und Softwarelösungen gesichert. Im Dienstgebäude gilt ein Abstands- und Hygienekonzept, es werden Masken und ausreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt.

Wenn wir der Pandemie überhaupt etwas Positives abgewinnen können, dann doch die Erkenntnis, dass Selbstorganisation und Selbstführung wichtiger sind, denn je. Führungskräfte können ihren Mitarbeitern dafür den Weg bereiten und sie ermutigen, mehr Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen – Selbstorganisation braucht Führung!

Der Instabilität bewusst und mit kleinen Schritten begegnen

Die Corona-Krise macht deutlich, wie wichtig das bewusste Einlassen auf Veränderung und Instabilität ist – gerade jetzt. Wenn wir all das ernst nehmen, dann braucht es neben neuen Methoden und Strukturen der Zusammenarbeit eine neue Haltung, um mit den Herausforderungen unserer Zeit Schritt halten zu können. Und damit wir nicht ins Stolpern geraten, sollten wir diese Herausforderungen in kleinen Schritten angehen, mit sogenannten Micro Changes.

Beispiele für Micro-Changes
Übertragen auf die Situation des Home-Office wäre z. B. ein erster Schritt, dass ich mir und gerne auch online im Austausch mit meinen Kollegen/innen z. B. am Ende des Arbeitstages einen Plan für meinen nächsten persönlichen Tages-Sprint mache! Ich starte z. B. früher und schreibe die ersten Mails, danach nehme ich mir Zeit für die Kinder. Die ersten Meetings beginnen später, frühere habe ich bereits abgesagt.

Mittags geht’s raus Spazierengehen! Mit Hund, Kind oder einfach nur alleine – bei jedem Wetter! Ich reflektiere den Vormittag, mache eine persönliche Mini-Retrospektive. Ein kleiner Snack im Anschluss, danach eine Aufgabe beginnen und abschließen, die motiviert und Spaß macht. Das Notwendige Übel, das Abarbeiten unliebsamer Aufgaben, folgt dann nach einer kurzen Kaffee- oder Teepause. Und am Abend noch mal kurz raus – frische Luft schnappen und Kopf frei kriegen, den Tag reflektieren, den nächsten Tag vor Augen.

Auch wenn das vielleicht zu simpel anmutet und für den ein oder anderen aufgrund vermeintlicher Restriktionen, familiärer, schulischer oder beruflicher Zwänge nicht praktikabel scheint: trotzdem Ausprobieren. Entscheidend sind der Wille und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Situation offen und ehrlich auseinanderzusetzen und andere auf dieser learning journey mitzunehmen. Denn bei aller Selbstführung und Selbstorganisation, ob im Büro oder im Home-Office: ohne Zusammenarbeit und Zusammenhalt funktioniert auf Dauer keine Organisation! Und manchmal sind es die kleinen Dinge, die eine große Wirkung entfalten, für Zusammenhalt sorgen und (indirekt) die Zusammenarbeit verbessern.

Zusammenhalt und Zusammenarbeit stärken

Wir bei ibo arbeiten seit März 2020 mehr oder weniger aus dem Home-Office. Durch die erzwungene Distanz bleibt vieles auf der Strecke: der direkte persönliche Austausch in der Kaffeeküche oder in gemeinsamen Pausen findet nicht mehr statt. Die persönliche Nähe fehlt und das Miteinander wird auf die Probe gestellt.

Tipp: Online-Events
Da kam die gemeinsame Online-Weihnachtsfeier zum Jahresende gerade Recht. „Fast wie in echt“ gab es verschiedene Stände (virtuelle Räume), an denen wir uns verabreden, spontan treffen und einfach nur plaudern, spielen und gemeinsam backen und lachen konnten, abseits des Tagesgeschäfts, gemeinsam selbstorganisiert! Bei aller Instabilität ein stabiler Event, mit langem positiven Nachhall!

ibo Weihnachtsfeier

FAZIT
Eine instabile Situation und und die Arbeit auf Distanz braucht einen Orientierungsrahmen, damit die neuen Formen der Zusammenarbeit und die damit einhergehenden Veränderungen nicht nur akzeptiert, sondern gestaltet und kultiviert werden können. Flexibilität und individuelles Handeln und Denken brauchen Freiräume. Dabei ist von allen Beteiligten Selbstorganisation und Selbstführung gefordert. Entscheidend sind also der Wille und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Situation offen und ehrlich auseinanderzusetzen und andere auf dieser learning journey mitzunehmen.
Willkommen Instabilität!

Ihre Erfahrungen sind gefragt.
Wie stehen Sie zu meinen Ausführungen? Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen Monaten gemacht. Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell wichtigsten Treiber einer effizienten Zusammenarbeit? Schreiben Sie uns in den Kommentaren!
Ich schreibe zurück. Ihr Christian Konz.

Dieser Blog-Beitrag ist Teil der Blogparade „Corona – Leben im Lockdown?!“

2 Kommentare

  1. Hallo Herr Konz, wir kennen uns aus einer Vorlesung an der DHBW. Ich bin über Xing auf Ihren Artikel gestoßen und finde Ihren Ansatz, in kleinen Schritten zu gehen und in der „neuen Situation“ auch Chancen zu sehen, sehr gut und sinnvoll. Ich erlebe, dass manche Unternehmen nach wie vor Schwierigkeiten haben, ihre Mitarbeiter teilweise oder ganz im Home Office arbeiten zu lassen; manchmal hängt es auch von einzelnen Führungskräften/Abteilungsleitern ab.

    Mir persönlich hilft es, eine klare Tagesstruktur zu haben (ähnlich wie von Ihnen beschrieben), wobei man hier sicher mal bessere und mal schlechtere Tage erlebt. Aber: Ist das nicht im Büro genau so?
    Sicher ist es schwieriger, die eigene Arbeitszeit nachzuvollziehen, wenn man in einer Pause mal eben die Waschmaschine anschmeißt und dafür abends um 8 nochmal die Mails checkt. Was hilft? Vermutlich Vertrauen und eine klare und regelmäßige Absprache über die Ziele/Zwischenziele, die erreicht werden sollen. Wenn der Chef weiß, ich habe meine Aufgaben im Griff und wir sprechen regelmäßig über den Fortschritt, dann ist schonmal viel gewonnen.

    Mir fehlen manchmal die persönlichen Gespräche und die Möglichkeit, an einem Whiteboard Ideen zu sammeln und sich auch in Gruppen darüber auszutauschen. Trotzdem versuche ich, das Beste aus der Situation zu machen und für mich die positiven Dinge mitzunehmen.

    Ich bin übrigens der Meinung, dass Menschen, die im Büro verantwortungsbewusst auftreten und handeln, die ihre Arbeit ernst nehmen und sich engagieren, das auch zuhause tun. Man wird ja nicht zu einem anderen Menschen, nur weil man „plötzlich“ von zuhause aus arbeitet. Zumindest kann ich mir das nicht vorstellen.

    Letztlich versuche ich, in meinem direkten Umfeld für Menschen da zu sein, denn der soziale Aspekt – vor allem für Alleinstehende – ist nicht zu unterschätzen. Auch hier gilt für mich: regelmäßig telefonieren, sich austauschen, zuhören und da sein. Und sich vielleicht mal auf einen Spaziergang treffen.

    Es ist eine Herausforderung, aus der wir sicher alle viel lernen können, wenn wir das wollen.

    Ihnen alles Gute, Gesundheit und weiterhin gutes Arbeiten im Home Office!
    Laura Peter

    1. Hallo Laura,
      ich freue mich sehr über Deinen Kommentar. Das waren schöne Zeiten in der DHBW, ich erinnere mich sehr gerne daran zurück!
      Du sagst es: …wir können alle sicher viel lernen, wenn wir es wollen.
      In diesem Sinne auch Dir alles Gute, Gesundheit und trotz der widrigen Umstände eine schöne Zeit.
      Viele Grüße
      Christian

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