Mit Sicherheit aus der Krise – Resilienz durch Selbstwirksamkeit

Geübt, gelernt und praktiziert, ermöglicht Reflexionsfähigkeit den bewussten Umgang mit Instabilität und Unsicherheit – und entwickelt sich selbst zum Muster. So entsteht Resilienz, Selbstwirksamkeit und Kreativität auf individueller Ebene und Innovation, Transformation und Organisationsentwicklung auf Unternehmensebene.

Als ich das erste Mal mit dem Schlagwort VUCA in Berührung kam, dachte ich spontan: SO WHAT!? Hat es das nicht immer schon gegeben? Es gab immer schon Krisen und Entscheidungen, die in unsicheren und unbeständigen Umfeldern getroffen werden mussten. Was ist daran neu? Und warum erfahren gerade jetzt Begriffe wie Resilienz, Achtsamkeit und Selbstwirksamkeit solch einen Hype?

Vielleicht lassen sich diese Fragen besser verstehen und beantworten, wenn wir unseren Blick etwas weiten. Betrachten wir die aktuelle politische, gesellschaftliche und technologische Gemengelage und die damit einhergehenden Krisenherde mit etwas Abstand, dann wird die Komplexität deutlich, mit der jeder einzelne tagtäglich mehr oder weniger intensiv konfrontiert ist.

Die Vielfalt an Krisen wirkt sich auf das Gefühl der Sicherheit negativ aus.
Abb. 1: Aktuelle Gemengelage und eine kleine Auswahl aktueller Krisenherde

Der Gründer des Zukunftsinstituts Matthias Horx hat dafür einen treffenden Begriff gefunden: die sogenannte Omni-Krise (siehe Abb. 2). Omni steht hier für die dynamischen Wechselwirkungen, die vielfältigen komplexen Zusammenhänge zwischen Krisen. Das vermeintliche Vor und Zurück politischer Entscheidungsträger, die Erkenntnis, dass es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen geben kann, und die für viele ungewohnt direkte und ehrliche Kontroverse mit offenem Visier zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu den aktuell brennenden Fragen, sind Belege dafür, wie komplex und verzwickt die aktuelle Lage gerade ist. Wie können wir in solchen Umfeldern einen kühlen Kopf behalten? Wie kann Veränderung gelingen und bewusst gestaltet werden?

Die dynamischen Wechselwirkungen und komplexen Zusammenhänge einer Omni-Krise verstärken den Wunsch nach Sicherheit und die Notwendigkeit, Resilienz aufzubauen.
Abb. 2: Omni-Krise – die Lage ist komplex!

Nichts ist so alt wie unsere Gedanken von Gestern

Jeden Tag werden wir mit Millionen von Entscheidungen konfrontiert. Pro Sekunde verarbeiten wir ca. 20.000 Reize. Die meisten davon nehmen wir überhaupt nicht wahr, müssen aber dennoch „abgearbeitet“ werden. Permanente Veränderung, Unsicherheiten und hohe Komplexität kosten viel Energie und überfordern uns auf Dauer. Unser Gehirn neigt daher dazu, auf bewährte Programme zurückzugreifen, sodass wir in bestehenden Mustern denken und handeln – denn es spart Energie! Das führt jedoch dazu, dass wir tagtäglich unsere Vergangenheit wiederholen. Ein Großteil unserer Gedankengänge hat bereits stattgefunden, wiederholt sich permanent und festigt die bestehenden Muster in unserem Gehirn. Folglich lernen wir nur schwer Neues dazu.

Selbstwirksamkeit, Resilienz und der Mut zum Musterwechsel

Aber in einer Krise ist genau das gefragt: mit Energie offen zu sein für Neues, um die Fähigkeit zu entwickeln, alte Muster zu durchbrechen und neue Muster zu bilden. Anders gesagt, sich (selbst)bewusst auf neue unbekannte Situationen einzustellen und einzulassen, kreativ statt reaktiv! Das Abspulen tradierter Routinen und Standards ist in unbekanntem Terrain kontraproduktiv.

Einstein wird das Zitat zugesprochen, dass man „Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind.“

Das bedeutet, dass komplexe Probleme und undurchsichtige Zusammenhänge nicht durch den bloßen Abruf vermeintlich bewährter Muster gelöst werden können. Falls auf die Schnelle kein bekanntes Muster zur Problemlösung abgerufen werden kann, neigen wir entweder zu blindem Aktionismus oder zu Lethargie und Passivität. Und Krisen kopflos anzugehen oder einfach auszusitzen sind bekanntlich die schlechtesten aller Handlungsoptionen.

Das Wissen und der Erfahrungsschatz in einer durch Unsicherheit und Komplexität geprägten Welt dürfen also nicht dieselben bleiben, wenn wir nach Wegen aus der Krise suchen.

Wie können Perspektivenvielfalt und Perspektivwechsel gefördert und damit Musterbrüche und neues Denken und Handeln ermöglicht werden? Wo können wir ansetzen? Am besten bei mir bzw. bei Dir selbst! Indem wir erkennen, dass nur die permanente eigene Veränderung die Basis für Selbstbestimmtheit, Selbstwirksamkeit und damit Selbstsicherheit ist. Diese Fähigkeit zur Selbstreflexion fördert die psychische Widerstandsfähigkeit, die sogenannte Resilienz, die es uns ermöglicht, in Krisensituationen und unsicheren Kontexten weiterhin entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben.

In der Psychologie beschreibt der Begriff Resilienz die Fähigkeit, Krisen Rückschläge oder Veränderung zu meistern, ohne sich davon dauerhaft unterkriegen zu lassen. Resilienz ist die „psychische Widerstandsfähigkeit, Krisen zu bewältigen“ und sie als Anlass zur eigenen Entwicklung zu nutzen. Eng damit verbunden ist die sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung: Das (Selbst)Vertrauen einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch in Extremsituationen erfolgreich selbst ausführen zu können (Wikipedia).

Resilienz hat demnach nichts mit dem Abspulen standardisierter Notfallprogramme gemein, es ist auch keine „Trotzreaktion“ oder eine Fähigkeit, die nur solchen Menschen oder Führungskräften vorbehalten ist, die vermeintlich von Natur aus „krisenerprobt und krisenfest“ sind. Resilienz ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft, die in jedem von uns schlummert und damit aktivier- und kultivierbar ist. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, eine Reflexionsfähigkeit zu entwickeln, die mit der Aktivierung der sogenannten „beobachtenden Instanz“ beginnt: Eine psychische oder körperliche Resonanz wird im Moment ihres Entstehens wahrgenommen, die durch die bewusste und achtsame Innenschau alternative Perspektiven und Sichtweisen ermöglicht. Dadurch wird der Gedankenraum für Neue Optionen geöffnet, der die Dialogische Entscheidung im Sinne eines bewusst anderen Denkens und Handelns fördert (siehe hierzu auch vertiefend SAM – Das Salzburger Achtsamkeitsmodell).

Geübt, gelernt und praktiziert, ermöglicht Reflexionsfähigkeit den bewussten Umgang mit Instabilität und Unsicherheit – und entwickelt sich selbst zum Muster. Die Grundlage für Kreativität, Selbstwirksamkeit und Resilienz auf individueller Ebene und Innovation, Transformation und Organisationsentwicklung auf Unternehmensebene.

Die MIND-Methode aktiviert den inneren Beobachter und die Möglichkeit, neue Denk- und Verhaltensoptionen zu entdecken und auszubauen.
Abb. 3: Innenschau statt Projektion mit der MIND-Methode

Wege aus der Krise brauchen den Musterbruch!

Diese Muster für sogenannte Musterbrüche zu entwickeln, um Veränderungspotenziale wahrzunehmen und immer wieder anzunehmen, sogar zu suchen, das bezeichne ich als agiles Mindset. Schlussendlich ist es die Fähigkeit, Komplexität zu beherrschen.

Menschen, die in der Lage sind, diese Komplexitätsfähigkeit bei sich und in ihrer Organisation zu kultivieren, das sind für mich die wahren Führungskräfte! Denn sie beherrschen die Kunst der Selbstreflexion und damit der Selbstführung. Sie entwickeln ihre persönliche Selbstwirksamkeitserwartung permanent weiter, sind selbstbewusst und selbstsicher. Und es sind die Leitfiguren und Führungspersönlichkeiten, deren Erfolgsgeschichte man letztlich erzählt. Prof. Kruse beschreibt dies in seinem Video treffend als wahres Unternehmertum.

Prof. Peter Kruse über Change Management und Unternehmertum

Für jeden einzelnen – Führungskräfte, Personalverantwortliche, Change Manager und Organisationsentwickler eingeschlossen – bedeutet diese Entwicklung, eine Haltung einzuüben, die darauf abzielt

  • offen zu sein gegenüber anderen bzw. neuen Perspektiven und alternativen Wahrheiten
  • bereit zu sein, über bestehende Regeln hinauszudenken
  • ein positives Menschenbild und ein respektvolles Verhältnis zu anderen Menschen aufzubauen
  • weg von Kontrolle und Kontrollansätzen hin zu einem Sich-darauf-Einlassen zu wechseln
  • Selberdenken und Mithandeln jedes Einzelnen zu fördern und zu fordern
  • einen Orientierungsrahmen mitzugestalten, um Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit zu ermöglichen und zu stärken

Ein entspanntes Verhältnis zu Autorität und die Bereitschaft, Dinge zu hinterfragen, egal von wem sie kommen, können ebenfalls nicht schaden!

„Das Ich gestaltet das Wir“ – Impulse für die Entwicklung Deiner persönlichen Reflexionsfähigkeit

Erste Schritte zur Reflexionsfähigkeit gelingen meist durch kleinere, über einen überschaubaren Zeitraum vereinbarte Interventionen, sog. Micro Changes. Die Suche nach dem großen Wurf, der umfassenden Lösung, ist oftmals hinderlich und führt zu nichts! Oft besteht in solchen Situationen die Gefahr, dass wir passiv werden, wir ziehen uns zurück und nehmen nicht selten die Opferrolle ein, projizieren auf andere und geraten in Rechtfertigungsschleifen. Oft stelle ich in solchen Situationen provozierende und aktivierende Fragen wie z.B.: „Was könntest Du tun, damit Dein Problem noch schlimmer wird? Und was müsste geschehen, damit gerade das nicht passiert?“ Wenn z.B. ein wichtiges Projekt ins Stocken gerät, dann geht das noch schlimmer, indem immer mehr Projekte gestartet oder noch mehr Anforderungen von oben reingekippt werden. Dann haben wir ein Priorisierungsproblem, der Fokus geht verloren. Häufig fällt es mir leichter zu benennen, was ich nicht will, nämlich keine Priorisierungskonflikte und stattdessen mehr Fokus.

Ein passender Micro Change bzw. eine Intervention könnte beispielsweise sein, dass in der nächsten Woche alle Aufgaben und Anfragen konsequent abgelehnt werden, die mit dem Hauptprojekt nichts zu tun haben oder keinen Bezug zum Backlog haben. Die Rufumleitung wird aktiviert, der Kalender geblockt oder der Raum gewechselt (und die Tür von innen abgeschlossen ;-)).
Gelingt dies, dann wird die Selbstwirksamkeitserwartung der Betroffenen gestärkt – wir werden aktiv und lernen, Entscheidungen selbstbewusster zu treffen. Es findet eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Problem statt, durch die die Betroffenen häufig wachsende Kompetenz in der Beantwortung problemrelevanter Fragen gewinnen. Sie werden resilienter.

Bist Du schon soweit? Probiere es doch einfach aus! Denn Selbstreflexion, Selbstführung und folglich Resilienz kannst Du lernen. Erste Schritte hin zu einer bewussteren „Innenschau“ und zum Aufbau einer Beobachterkompetenz können Dich in Deiner ganz persönlichen Reflexions- und Veränderungsfähigkeit weiterbringen. Das Gute daran: Du kannst nichts falsch machen, es dauert nicht lange und die Transfererfahrung ist trotzdem intensiv. Du lernst von der 1. Sekunde. Wichtig ist nur, dass Du dich darauf einlässt, die Micro Changes auszuprobieren und Dir im Anschluss ein wenig Zeit gönnst und das Geschehene reflektierst, alleine oder gemeinsam mit Deinem Team!

In unseren Weiterbildungen und Lernreisen gehören solche Mini-Impulse zum festen Repertoire, denn sie fördern den bewussten Perspektivwechsel und damit die persönliche Entwicklungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit – mit Sicherheit!

Mini-Impulse zum Ausprobieren

Hier findest Du eine kleine Auswahl unserer Mini-Impulse. Probiere sie einfach aus!

Wir hoffen, dass sie Dich motivieren, eigene Mini-Impulse zu entwickeln, auszuprobieren und mit Deinen Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Schreibe uns in den Kommentaren, welche Micro Changes Du bereits kennst oder selbst schon angewendet hast. Wir freuen uns, wenn Du Deine Erfahrungen mit den Leser:innen des ibo-Blogs teilst!

Werde selbst wirksam!

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Ein Kommentar

  1. Meist auch eine Frage der inneren Einstellung. Oder der Resilienz. Das eigene Notfallmanagement schulen und stärken, um im Ernstfall mit echten Krisen besser umgehen zu können und diese gut zu überstehen.

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