Ulf Reupke und Dr. Manuel Simon, Experten für Prozessmanagement in der ibo Akademie, sind sich einig, dass die Bedeutung von Prozessmanagement im Hinblick neuer Werte-Definitionen und Strategie-Ausrichtungen in den Unternehmen weiter zunehmen wird. Im Gespräch beleuchten sie die Rolle von Prozessmanagement vor dem Hintergrund gravierender gesellschaftlicher, ökologischer und politischer Veränderungen und ob man sich heute von der Effizienzorientierung verabschieden muss.
U. Reupke: In unserem heutigen Gespräch geht es darum, Prozessmanagement in Hinblick auf die sich ändernden Rahmenbedingungen zu beleuchten. Was hat sich geändert?
M. Simon: Das Bewusstsein der Menschen für soziale und gesellschaftliche sowie ökologische Themen und die damit einhergehenden Kundenerwartungen, führten und führen zu einem Werte-Wandel in Unternehmen. Auch das Kundenverhalten ändert sich stetig siehe steigende Online-Umsätze. Und seit 2020 sehen wir, wie rasant und gravierend sich Rahmenbedingungen durch externe Einflüsse ändern können. Das alles verändert die Strategie und die Zielsetzungen von Unternehmen und damit auch die Ziele und Ausgestaltung der Geschäftsprozesse. Betroffen sind Unternehmen jeder Branche und Unternehmensgröße. Ein Werte-Wandel wird sich überall vollziehen.
ibo Umfrage
Wie verändern soziale und ökologische Werte Ihre Geschäftsprozesse?
Welche Geschäftsprozesse stehen in Ihrem Unternehmen auf dem Prüfstand?
Machen Sie mit bei unserer Umfrage! Sie dauert keine 5 Minuten und ist anonym.
Ich nehme an der Umfrage teil!
Unternehmensstrategie: Gleichberechtigte Ziele statt Fokus auf Balance Scorecard
U. Reupke: Wie vollzieht sich denn die Integration der auf Nachhaltigkeit zielenden Werte in die Unternehmensstrategie?
M. Simon: Da gibt es den sehr populären Ansatz der „Balanced Scorecard“ von Kaplan und Norton. Ein Instrument aus Anfang der 90ziger Jahre, das sehr, sehr viele Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen und Unternehmensgrößen etabliert haben. Und diese Balanced Scorecard geht davon aus, dass man seine Unternehmensziele miteinander in Beziehung setzen sollte. Aber am Ende müssen alle Unternehmensziele auf finanzielle Ziele einzahlen. Da geht es um Produktivität, Umsatzwachstum, Umsatzrendite als oberste Ebene der Unternehmensziele. Dazu gibt es auch noch eine Kunden-Perspektive, in der kundenorientierte Ziele formuliert werden, eine Prozess-Perspektive und eine Entwicklungs- oder Mitarbeiter-Perspektive.
Aber letztendlich, mittelbar oder unmittelbar, müssen alle auf die finanziellen Ziele einzahlen. Das gilt vor allem bei größeren Gesellschaften, die auch fremde Anteilseigner haben, Stichwort Aktiengesellschaften, deren Erwartungshaltung finanzieller Erfolg ist.
U. Reupke: Und siehst Du da jetzt neue Ansätze ?
M. Simon: Mann kann feststellen, dass sich diese Gruppe der Teilhaber durchaus anders verhält und andere Schwerpunkte setzt, z. B. auf soziale Themen oder auf Nachhaltigkeitsthemen sehr viel Wert legt. Und das bedeutet natürlich, dass ein gewisser Druck auf die Unternehmen ausgeübt wird.
Jetzt gibt es inzwischen erste, aus der Forschung gepushte Ansätze, die einen erweiterten Blick auf die Zielbetrachtung und auf die Werte-Betrachtung eines Unternehmens legen. Dabei stehen bilanzorientierte Werte gleichrangig neben sozialen Werten und umweltbezogenen Werten.
Man versucht also jetzt, mit seinen Zielvorstellungen diese Wertebasis anzusprechen. Und das ist ganz spannend. Und um jetzt die Kurve zu kriegen zum Prozessmanagement: Man muss sich natürlich auch bei der Prozessgestaltung diesen Anforderungen stellen.
Manuel Simon
Einfluss auf die Prozessgestaltung
U. Reupke: Und wenn es da entsprechende Zielvorgaben wie zum Beispiel mehr Nachhaltigkeit gibt, dann muss man sich die Frage stellen, welchen Einfluss hat das für die Gestaltung von Geschäftsprozessen.
Die Frage ist, wie bekommen wir die Ziele operationalisiert? Denn die Umsetzung von Zielstellungen, von strategischen Vorgaben passiert in den Geschäftsprozessen. Sehr häufig werden dann Projekte aufgesetzt, die direkt auf die Ziele einzahlen sollen. Aber im Grunde geht es darum, Geschäftsprozesse auch umzugestalten oder auch ganz neue Prozesse zu überlegen, die den Zielen Rechnung tragen. Da gibt es viele, viele Beispiele.
Verstärkte Bedeutung von Prozessmanagement
U. Reupke: Ein Beispiel aus dem Bereich der Bekleidungsindustrie
Eine Branche, für die die Themen Soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit mittlerweile ganz oben auf der Werteskale stehen, ist die Bekleidungsindustrie. Wenn ein Unternehmen das Ziel ausgibt, wir wollen unsere Baumwollprodukte aus zertifizierter Biobaumwolle herstellen, dann muss man sich alle relevanten Geschäftsprozesse anschauen und reflektieren, was die Entscheidung bedeutet. Welche Prozesse sind primär betroffen? Wie zum Beispiel das Management von Lieferantenverträgen, der Beschaffungsprozess, die Logistikprozesse, die spielen da alle eine Rolle. In dem Zusammenhang muss man diesen Prozessen vielleicht auch auf völlig neue Prozessziele zuordnen, damit sie entsprechend auf die übergeordneten strategischen Vorgaben einzahlen. Das verstärkt die Bedeutung von Prozessmanagement.
Und da komme ich auf den Begriff der Prozesstransparenz. Wenn ich eine sehr hohe Transparenz in meinen Prozessen habe, kann ich schauen, wie die Zielstellungen der Geschäftsprozesse angepasst werden. Wenn ich angepasste Geschäftsziele habe, muss der Ablauf des Prozesses angepasst werden, der Ressourceneinsatz muss überprüft werden. An welchen Stellen muss ich eine andere Ressourcen einsetzen? Und es müssen andere Bewertungsmaßstäbe, andere Kriterien für z.B. die Lieferantenauswahl angelegt werden. Erleichtert wird solch eine Umstellung, wenn schon eine sehr hohe Prozessreife vorhanden ist, mit Dokumentation etc.
Vorgehen in der Prozessgestaltung
M. Simon: Ich unterstütze das aus jeden Fall, dass Prozessmanagement an sich die wichtige Basis ist. Denn wenn ich nachhaltiger werden möchte und den gesamten Prozess effizienter gestalte, auch durch eine Digitalisierung beispielsweise, dann brauche ich ja diese Transparenz.
Ich glaube, dass es ein Trugschluss ist, der sich in der Praxis häufig zeigt, dass man denkt: wir haben ja schon eigentlich Prozesse, und jetzt digitalisieren wir die einfach mal alle. Dadurch, dass die digitaler werden, wird alles schneller und dadurch dann eben auch nachhaltiger.
Die Prozessgestaltung so anzugehen ist nicht der richtige Weg! Zunächst muss man schauen, wie kann ich den Prozess an sich besser machen. Dazu brauche ich erst einmal Transparenz. Transparenz heißt, dass der Prozess dokumentiert ist. Das mache ich nicht in irgendeinem Word-Dokument, sondern im Idealfall mit einer guten Prozessmanagement Software, wo ich wirklich vom Startereignis bis zum Endereignis sehen kann, was zwischendrin passiert. Und ich werde schon nachhaltiger oder ökologischer dadurch, dass ich den Prozess einfacher gestalte.
Beispiel: Nimmt man einfach nur mal einen Prozess, in dem es papierhafte Akten gibt, wie beispielsweise Kreditdaten, Versicherungsaktien oder Personalakten. Jetzt passe ich die Kompetenzen an: weniger Fälle werden vom Abteilungs- oder Bereichsleiter entschieden, sondern vom Sachbearbeiter. Das führt automatisch dazu, dass diese Akten nicht mehr so häufig durchs Haus transportiert werden müssen zum nächsten Kompetenzträger, der dann draufgucken muss, irgendwas bewilligen muss und die Akte wieder zurück gibt. Dadurch spare ich Ressourcen ein, indem ich niemanden brauche, der durchs Haus läuft. Alleine dadurch werde ich effizienter und nachhaltiger.
Wenn ich den Prozess jetzt auch noch digitalisiere, einen Workflow anlege, dann wird der Prozess nochmal effizienter und nachhaltiger, weil ich a) keine Akten, kein Papier, keinen Stift etc. mehr benötige und b) direkt an den nächsten Mitarbeiter weitergebe. Am Ende bedeutet es auch, dass ich mehr Zeit übrig habe, um andere Dinge effizienter zu bearbeiten, mehr Zeit für‘s Wesentliche habe.
Manuel Simon
Leitfragen für die Prozessgestaltung
Haben unsere Geschäftsprozesse Optimierungspotenzial im Hinblick auf unsere ökologischen und sozialen Werte? Wie können wir unsere Geschäftsprozesse entsprechend umgestalten? Welche spezifischen Prozess-Ziele lassen sich daraus ableiten und als Grundlage zur Prozess-Steuerung nutzen? Wo entstehen Zielkonflikte in den Prozessen, müssen neu Ziele priorisiert werden?
Herausforderung, alle Ziele in Einklang zu bringen
U. Reupke: Das Thema Effizienz wird also nicht vom Tisch fallen. Das kann man als kleines Fazit ziehen. Wir brauchen nach wie vor effiziente Prozesse, aber eben nicht ausschließlich nur auf Effizienz ausgerichtete Prozesse. Unternehmen aus dem Bankenumfeld haben zum Beispiel sehr viel mit Regulatorik zu tun. Und Regulatorik und Effizienz können sich durchaus widersprechen. Jetzt kommen noch soziale, gesellschaftliche, ökologische Ziele der Nachhaltigkeit hinzu.
Die Herausforderung liegt darin, diese Ziele in Einklang zu bringen und eine Strategie zu entwickeln, in der das eine Ziel auf das andere einzahlen kann.
Das ganze Gespräch gibt es im ibo Podcast Episode 12
Schon gewusst?
Mit unserer Nachhaltigkeitsmanagement-Weiterbildung lernst Du nicht nur die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU umzusetzen – sondern du lernst ganzheitlich und verantwortungsvoll Nachhaltigkeit im Unternehmen zu verankern. Dazu gehört auch spezielles Wissen, wie Du Nachhaltigkeit durch Prozessmanagement erreichen kannst und wie Du wichtige Geschäftsprozesse dafür identifizierst.
Selbstwirksamkeit – Mit New Work zum Game Changer
Mit Sicherheit aus der Krise – Resilienz durch Selbstwirksamkeit
Auf zu neuen Mustern – Das Experiment beginnt bei Dir!
Selbstführung: So knackst DU Deine unbewusste Inkompetenz
Kontinuierliche Micro-Changes auf allen Interventionsebenen