Warum reiten wir auf „Fehlern“ herum, statt diese als unvermeidliche Basis neuer Entwicklungen zu betrachten? Christian Konz plädiert in diesem Artikel dafür, Abstand von der sogenannten Fehlerkultur zu nehmen und uns hin zu einer Umsetzungs- und Erfahrungskultur zu entwickeln. Kurz: einer neuen Lernkultur!
Die allseits umworbene Fehlerkultur wird mittlerweile von vielen wie ein Mantra wieder und wieder wiederholt, damit sie sich auch in allen Köpfen festsetzt. „Fuck up nights!“ sind mittlerweile zu einer weltweiten Bewegung mutiert. Ich finde es ist höchste Zeit, mit dem Begriff der Fehlerkultur aufzuräumen – oder noch besser: diese völlig missverstandene und fehlleitende Wort-Kreation aus den Managementbüchern und Köpfen zu streichen. Zumindest sollten wir uns nüchtern bewusstmachen, um was es wirklich geht!
Keine Angst, Entscheidungen zu treffen
Indem wir (Führungskräfte in ihrer Vorbildfunktion eingeschlossen) offen über Fehler sprechen und unsere verletzliche Seite zeigen, schaffen wir einen offenen und wertschätzenden Umgang miteinander. Wir schaffen Vertrauen und erkennen, dass es immer besser ist Herausforderungen anzupacken als im Status quo zu verharren. So ähnlich formuliert es ein bekannter Automobilkonzern!
The purpose of an organization is to enable ordinary human beings to do extraordinary things.”
frei nach Peter F. Drucker
Ein Satz, der so oder so ähnlich in keinem Management-Ratgeber fehlen darf – denn wer will Peter F. Drucker schon widersprechen? Zu revolutionär, tiefgreifend und prägend waren seine Studien und Erkenntnisse, die ihre Kraft bis… oder besser gesagt erst heute so richtig entfalten! Gut Ding braucht eben Weile!
Wo er recht hat, hat er recht! Die Entwicklungs- und Veränderungsfähigkeit einer Organisation ist abhängig von den Möglichkeiten und den Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter/innen, eines jeden einzelnen, sich selbstorganisiert und eigenverantwortlich zu entwickeln. Dazu zählt insbesondere die Fähigkeit, keine Angst davor zu haben, Entscheidungen zu treffen! Momentmal! Keine Angst, Entscheidungen zu treffen: nichts leichter als das, sagt sich der belesene Manager: Was es braucht ist eine Fehlerkultur – eine Kultur also, in der Jedefrau und Jedermann Fehler machen darf! Dann entscheidet sich’s auch leichter!
Vielerorts hat man jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht: nämlich den Manager selbst. Drüber reden, als Leitbild formulieren und nach Feierabend eine Fuck up night! Gerne, solange der Lernerfolg mit unseren wirtschaftlichen Zielen vereinbar ist. Und jeden Fehler bitte nur einmal…
Wer macht schon gerne Fehler?
Fehler sind im engeren Sinne solche, von denen man zum Zeitpunkt einer Entscheidung bereits hätte wissen müssen, die also vermeidbar gewesen wären.
Die Hypothese, der Irrtum oder viel besser die Entscheidung und das Handeln selbst als Ersatz für den hier benutzten Fehlerbegriff zu verwenden, erscheint mir viel geeigneter. Denn ein Irrtum liegt vor, wenn sich eine Annahme oder Hypothese zum Zeitpunkt einer Entscheidung später als Fehleinschätzung herausstellt. Wir lernen also hoffentlich nicht nur aus Fehlern – denn diese sind im engeren Sinne Verschwendung – sondern auch aus Irrtümern! Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Fehler zu sanktionieren ist oder diejenigen, die ihn begangen haben, abgestraft werden sollten.
Mit vermeidbaren Fehlern umzugehen hat etwas mit einem wertschätzenden Umgang zu tun, unabhängig von Methode oder Organisationsform. Ebenso geht es nicht darum, die eine richtige Hypothese zu finden oder zu bestätigen, sondern durch eine Vielfalt von Hypothesen auch zu einer Vielfalt von Perspektiven und Möglichkeiten zu gelangen. Womit wir wieder bei der Haltung wären – Peter F. Drucker lässt grüßen!
Versuch und Irrtum, Feedback und Reflexion
Versuch und Irrtum, Feedback und Reflexion sind fest in der Unternehmensphilosophie zu verankern und in das tägliche Entscheiden und Handeln eines jeden einzelnen zu übersetzen. Auf diese Weise kann sich ein Unternehmen schnell und flexibel auf neue Situationen einstellen. Nicht ohne Grund haben deshalb agile Ansätze wie z.B. Scrum, Lean Startup, Design Thinking oder Objectives & Key Results auch immer integrierte Feedback- und Lernschleifen, die die Akteure dazu anhalten, ihre Annahmen über Kundenbedürfnisse, Produkterfordernisse, Prozessaktivitäten und die eigene Zusammenarbeit in kurzzyklischen Iterationen zu reflektieren und ggf. anzupassen (z.B. in Reviews und Retrospektiven). Im Mittelpunkt der Entwicklung stehen somit immer die Individuen selbst – die Menschen und ihre Interaktionen.
Wo Menschen zusammenarbeiten, wird es komplex
In sozialen Systemen mangelt es an linearen Ursache-Wirkungszusammenhängen. Über die Bereitschaft, in Alternativen zu denken und (nur) vorläufige Annahmen zu treffen (Hypothesen) über das, was ist oder was (zukünftig) sein könnte, nähert man sich schrittweise einer Problemlösung. Ausprobieren und Experimentieren sind in unsicheren und komplexen Situationen ausdrücklich erlaubt – getreu der agilen Philosophie: Fail early, fail fast, fail often, fail better! ‚Fail‘ in diesem Verständnis ist nicht zu verwechseln mit dem oben beschriebenen Fehlerbegriff. ‚Fail‘ bedeutet Scheitern im positiven Sinne. Scheitern wird somit zu einer gangbaren Option, insbesondere in der Interaktion zwischen Individuen.
Eine Grundlage, um diese Fähigkeit entwickeln und verinnerlichen zu können, ist der achtsame Umgang mit sich und mit anderen. Achtsamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang „Mit ruhigem, klaren Geist aufmerksam und wohlwollend im gegenwärtigen Moment zu sein!“. Oder, um es provokanter zu formulieren: „Gib Dein Ego an der Garderobe ab!“, um nicht dem Reiz-Reaktions-Automatismus bzw. dem Selbstbestätigungsfehler (confirmation bias) in die offenen Arme zu laufen. Dabei kann es helfen, den Moment der Entscheidung bewusst wahrzunehmen und über die eigene Innenschau zu neuen Optionen zu gelangen, die man in erster Linie mit sich und dann mit anderen aushandelt. Über innere Klarheit entsteht äußere Klarheit – das Ich gestaltet das Wir!
Lernen und persönliche Entwicklung sind untrennbar miteinander verbunden
Der bewusste Umgang mit Veränderung und Instabilität, der Wille und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen wird zum Erfolgsfaktor der Zukunft. Das gilt für Organisationen, Teams und insbesondere für die kleinste organisatorische Einheit, das Individuum! Denn jeder Lernprozess beginnt und endet beim Menschen. Lernen und persönliche Entwicklung sind untrennbar miteinander verbunden, im Positiven wie im Negativen. Und nur, wenn reaktive Verhaltensmuster erkannt und Handlungsalternativen entwickelt und adaptiert werden, entstehen kreative Lernprozesse. Einfach ausgedrückt: kreativ statt reaktiv – das „k“ an der richtigen Stelle! Was selbstbestimmtes Lernen bedeutet und welche Rahmenbedingungen für eine ‚menschzentrierte Organisation‘ geschaffen werden müssen, behandelt u.a. das folgende Video:
Die Veränderung beginnt bei Dir! Werde selbst wirksam!
Reinhold Messner beschreibt in einem seiner Bücher all das, was nur in den Köpfen bleibt und nicht in die Tat umgesetzt wird, als „Schall und Rauch“. Die Umsetzung ist für ihn „der goldene Schritt“, bei dem es ihm nicht nur um die Bewertung des Ergebnisses geht. Für ihn ist die Tat und die damit verbundene Umsetzungserfahrung das Maß der Dinge.
Im übertragenen Sinne bedeutet diese Erkenntnis, dass wir Abstand nehmen sollten, von der sogenannten Fehlerkultur, und uns hin entwickeln zu einer Umsetzungs- und Erfahrungskultur, kurz: zu einer neuen Lernkultur! Wenn das nicht eine gute Basis für ein agiles bzw. Growth Mindset ist!
Selbstwirksamkeit – Mit New Work zum Game Changer
Mit Sicherheit aus der Krise – Resilienz durch Selbstwirksamkeit
Auf zu neuen Mustern – Das Experiment beginnt bei Dir!
Selbstführung: So knackst DU Deine unbewusste Inkompetenz
Kontinuierliche Micro-Changes auf allen Interventionsebenen